Ziehen Sie die Maske an!


Diese Aufforderung beeindruckte mich so, dass ich die Kappe fest auf Mund und Nase drückte. Diese Apothekerin meinte es ernst.

„Sie ist ja kaputt, was fällt Ihnen ein“, setzte sie hinzu, als sie das lose Gummiband hinter meinem rechten Ohr bemerkte. Es hatte sich von meiner Staubmaske gelöst, als wir in den Karstadt gehen wollten. So hing das Ding nur am linken Ohr und an der Nase half die Brille bei der Fixierung. Das Bändel über dem rechten Ohr reichte als Tarnung wohl nicht aus.

„Gehen Sie schon, unverschämt!“, hörte ich noch, bevor ich verblüfft die Apotheke verließ.

Draußen atmete ich erst einmal wieder kräftig durch. In bayerischen Geschäften war ab Januar 2021 eine Maske mit hoher Schutzwirkung zu tragen. Das einfache Bedecken vom Mund-Nasenbereich mit einem Tuch oder auch Schal reichte nicht mehr aus. Eine Maske der Norm „FFP2“ war vorgeschrieben. Diese sollten über die Apotheken der Bevölkerung zugänglich gemacht werden. Besonders gefährdete Personen, wie über 60-jährige, erhielten Bezugsscheine für diese Masken.

Was hatten wir gelacht, als die Berechtigungsscheine per Brief von den Krankenkassen zugestellt wurden! „Schau Dir das an. Sie denken an uns. Nun dürfen wir unsere Schutzmasken in den Apotheken abholen. Für zwei Euro bekommen wir sechs Schutzmasken, die bis Mitte Februar reichen müssen. Danach haben wir dann noch einmal sechs Masken bis Anfang April. Das ist rationiert, wie bei Lebensmitteln. Hast Du so etwas schon mal gesehen?“ reichte meine Frau mir die Seiten.

Gedruckt waren sie auf amtlichem Papier, so wie es auch für die Innenseite der Reisepässe verwendet wird. Es waren richtige, fälschungssichere Dokumente. Links oben prangte der Bundesadler, getrennt durch eine schmale, schwarz-rot-goldene Linie von dem zweizeiligem Schriftzug „Die Bundesregierung“. Das gesamte Kabinett, samt der Bundeskanzlerin, zeichnete für die Verteilung von sicheren Schutzmasken durch die Apotheken verantwortlich. Der Überbringer eines solchen Dokuments konnte gegen eine Eigenbeteiligung von zwei Euro sechs Exemplare bekommen. Die Apotheken unterlagen dem Datenschutz. Sie hefteten die Zettel ab und rechnete die Masken mit einer öffentlichen Stelle der Bundesregierung ab. Wie genau das ablief, war unbekannt. Früher dealten Apotheken nur mit Medikamenten, die von Privatpatienten direkt und, für die anderen, von den jeweiligen Krankenkassen bezahlt wurden. In jedem Fall freuten sie sich über den Geldregen.

Auf jedem Papier waren zwei Berechtigungsscheinen zum Ausschneiden. Eine gestrichelte Linie in der Mitte mit der angedeuteten Schere forderte den Leser auf, sie in zwei gleiche Teile zu schneiden. Ich suchte schon die Schere, als ein „Nein, nein, das müssen wir doch verwahren. Das sind Zeitdokumente“ mich unterbrach.

Hätte ich damals schnell geschnitten, wäre wohl mindestens ein Berechtigungsschein eingelöst worden. Das ist ja der Trick dabei. Wenn die Zielperson einen Coupon ausschneidet, so verwendet es ihn eher, als wenn der Coupon einfach so einer Werbesendung beiliegt. Dadurch, dass man etwas macht, investiert man Zeit und Aufwand in die Sache und schon hat der Verkäufer gewonnen. Ich war auch zunächst skeptisch, ob das eine gute Idee wäre, die Scheine nicht einzulösen. „Im Labor haben wir auch diese Masken, das brauchen wir sowieso nicht“, überzeugte mich.

Die von dort mitgebrachten, wirksamen Schutzmasken waren so ähnlich wie die, die ich bei der Renovierung in unserem alten Haus getragen hatte. Damals versuchte ich die Nische in der Wohnzimmerwand von der alten, weißlichen Lackschicht zu befreien. Die Schleifmaschine hatte keinen Absauger, ich war in einer Staubwolke und die Maske versagte bei ihrer Schutzwirkung gegen den Staub, der mir so die Nebenhöhlen verklebte. Was bekam ich für Kopfschmerzen!

„Zertifiziert sind die in der Türkei und produziert in China. Du, die kommen von China in die Türkei und werden dort einzeln in die Plastiktaschen verpackt. Früher kamen die immer in einem Karton mit 50 Stück an. Das sind dieselben Masken, ich kenne die genau“, erklärte meine Frau. „Die dürfen nur nach Unterrichtung verwendet werden. Nach zwei Stunden ist eine Pause vorgeschrieben. Die spinnen!“

„Schau hier die Norm und dort steht sogar ’schützt nicht vor Viren oder Bakterien‘.“ fügte sie noch hinzu.

Ich zog eine der Masken an. Es roch nach frischem Plastik. Deswegen presste ich die Drahtbügel nicht an den Nasenflügeln fest, sodass genug Schlitze für Frischluft blieb. Und wenn ich die Unterkante nicht unter das Kinn zog, blieb auch dort ein Schlitz für Frischluft.

Am nächsten Samstag ging es zum Shopping in die Stadt. Wir wollten im Karstadt einkaufen, als die Schnur an der rechten Seite riss. Mit meiner Reparatur, die Maske lässig an der Brille zu klemmen und die Schnur hinter das Ohr zu hängen, war meine Frau nicht einverstanden. Tatsächlich sprach der empörte Rausschmiss der Apothekerin gegen weitere, derartige Einkaufsversuche.

Dabei ist mir bis heute nicht klar, wie jemand, der lesen kann und immer alle Bemerkungen durchliest, wie es von einem Apotheker erwartet wird, die Sache mit der wirksamen Schutzmaske glauben konnte.

Bei jemanden, der sowieso immer Arzt oder Apotheker fragt, verstehe ich schon, warum die Staubmasken als wirksam betrachtet werden. Eben dadurch, dass es unangenehm ist, wird das atmen an sich zu einem Opfer. Und wo ein Opfer ist, ist auch Besserung zu erwarten. So wie eine Medizin immer auch nach Medizin bitter schmecken muss. Gut schmeckende Medizin kann gar nicht wirken!

Wir kauften an jenem Samstag gar nichts ein. Auf dem Rückweg begegneten wir einem einzelnen Klarinettisten. Mit Fransen in der Maske blies er in seinem Instrument. Er spielte vor Corona immer in der jüdischen Jazzkombo, der wir immer gerne zuhörten. Sie spielte meistens an dem Platz vor der Museumsbrücke. Es war immer fröhliche Musik. Zwar legten wir nie Geld in den Korb, aber nun kauften wir ihm für zwanzig Euro zwei CDs ab.

Widerständler mussten unterstützt werden.

Mit der wirksamen Schutzmaske war Einkaufen für mich eher meditativ. Vor dem Geschäft einatmen, Maske auf und dann ganz langsam ausatmen. Nur noch Luft holen, bevor man umfällt. Sobald der Einkaufzettel abgearbeitet war, sofort zur Kasse und raus. Zwar höhlte meine Frau einmal eine Maske aus, die sah dann aber schon von weitem durchsichtig um den Mund aus. So mutig war ich nicht, mit so etwas in Geschäften herumzulaufen.


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