Als ich Anfang März den Stadtspaziergang der Altstadtfreunde zum Thema Adam-Kraft-Kreuzweg führte, war ich erstaunt über die Lebendigkeit der Steinfiguren. Das konnte der Adam Kraft vor 500 Jahren mit Hammer und Meißel dem Sandstein abgewinnen. Realistisch die Marterung von Jesus, der kaum das Kreuz tragen kann. Das Entsetzen seiner Mutter ist deutlich dargestellt, genauso die Lust der Peiniger beim Geißeln.
Am Ende des Kreuzwegs ist ein modernes Kruzifix aus dem Jahr 1952. Sie stellt kein leidenden Jesus dar, sondern eher einen, der seine Mission erfüllt hatte. Die Leiden von Jesus bei der Kreuzigung werden erst seit der Gotik dargestellt. In der Romanik gibt es solche Darstellungen nicht. Hier ist es ein starker Mann, der tot am Kreuz hängt oder ein König, der mit ausgebreiteten Armen zum Publikum schaut. Richtiges Leiden sah man zu dieser Zeit eben nicht.
In den Tagen danach fiel mir ein, dass die Kreuzigungsgeschichte ursprünglich revolutionär war. Ein starker Unruhestifter wird verurteilt, trägt das Kreuz alleine, kümmert sich nicht um die Geißelungen und bekommt einen Simon, der so tun muss, als würde er ihm helfen. Am Kreuz geschlagen, bekommt er noch zu trinken, damit er nicht zu schnell stirbt. Der Gekreuzigte soll quälend, langsam sterben. Aber dieser hier stirbt nach ein paar Stunden, was durch den Stich mit der Lanze nachgewiesen wird. Nach drei Tagen kommt er aus dem Grab und fordert seine Anhänger auf, ebendiese Geschichte überall im Reich zu erzählen. Die höchste Strafe der Justiz ist nichts Wert, wenn man bei Gott ist!
Es begann die Zeit der Märtyrer, die von ihrem Glauben trotz Marter nicht abließen. Der heilige Lorenz ließ sich freudig grillen, dem heiligen Bartholomäus wurde die Haut bei lebendigen Leib abgezogen, um nur ein paar zu nennen. Deswegen verbreitete sich die Lehre. In Gößweinstein an der Burg ist beschrieben, wie ein hier ansässiger Fürst bekehrt wurde. Er forderte den Missionar, ein schottischer Mönch, zu einem Duell heraus. Als dieser am nächsten Tag tatsächlich zum Schwert griff, obwohl er es kaum halten konnte, erkannte der Fürst, dass dieser Gott einem Kraft gab und ließ sich taufen. Mit dieser Religion lebt jemand voll Gottvertrauen sein Leben in Freiheit.
Aus dem revolutionären Christentum wurde Staatsreligion. Die unbefleckte Jungfrau Maria stieg zur Mutter Gottes auf und wurde im Himmel zur Königin gekürt. Ritterorden verteidigten die Christenheit. Das Fegefeuer erwartete die Sünder, also jeden normalen Menschen, nach dem Tod. Mit diesen Beimischungen veränderte sich die Religion nicht unbedingt zum Positiven.
Ein christlicher Staat versucht ein guter Hirte zu sein. Dem Einzelnen werden die Sorgen und Probleme abgenommen, er wird vor inneren und äußeren Feinden beschützt und verliert allmählich die Fähigkeit die eigenen Probleme zu meistern. Wenn er für den Staat arbeitet, bekommt er Macht, mit der er hoffentlich menschenfreundlich umgeht. Die ursprüngliche Botschaft der Kreuzigung verkehrt sich so in ihr Gegenteil.
Heute haben die westlichen Staaten ihre religiösen Wurzeln weitgehend verlassen. Aber sie sind nicht ganz abgestorben. Im christlichen Bereich sehe ich häufiger Evangelikalen, Frei- und Pfingstkirchen, die, die mit der „Gott-ist-Gut“-Devise kommen. Vielleicht entwickelt sich daraus etwas Christlich-anarchistisches, das das Zusammenleben im westlichen Europa neu gestalten kann.